Kannibalenschau?
Große Kannibalenschau?
Ein derartiger Buchtitel weckt Erwartungen. Schließlich entspricht es den Tatsachen, dass noch bis 1940 exotisch aussehende Menschen von anderen Kontinenten durch deutsche Lande tourten und in Tierparks und Zoologischen Gärten ausgestellt wurden. Sie mussten teilweise sogar rohes Fleisch essen, um als Kannibalen durchzugehen.
Die in Scharen herbeiströmenden Besucher durften dann vor „artgerecht“ gestalteten Anlagen die dort gefangenen „Wilden“ bestaunen und ihrer Phantasie über die angeblichen Menschenfresser freien Lauf lassen. Als Völkerschauen bezeichnete spektakuläre Wanderausstellungen präsentierten dem Publikum wilde Amazonen aus Schwarzafrika, dick vermummte Arktisbewohner und unergründlich lächelnde Asiaten.
Es mag seltsam scheinen, was vor einem Jahrhundert in deutschen Zoos geschah und mit welch kolonialer Überheblichkeit die weiße Herrenrasse andere Völker und Kulturen öffentlich zur Schau stellte. Doch während heute bereits die Verwendung von Begriffen wie Neger, Eskimo und Zigeuner als politisch inkorrekt gegeißelt wird, war es für unsere Urgroßeltern vollkommen normal, die derartigen Begriffen zugeordneten Zweibeiner selbst öffentlich vorzuführen und zu begaffen.
Vor diesem Hintergrund beschreibt Fischer in Romanform die Expedition eines Tierhändlers nach Deutsch-Neuguinea. Im Auftrag des Tierparkbesitzers Hagenbeck soll er dort besonders exotische Lebewesen aufspüren und an die Elbe bringen. Im Wettlauf mit einem französischen Veranstalter von Völkerschauen gelingt es ihm, einen Stamm Kopfgeldjäger unter Vertrag zu nehmen und nach Hamburg zu verfrachten. Doch die vermeintlich Wilden lernen schnell die Tricks und Kniffe ihrer Vertragspartner, und bald sehen sich die Herrenmenschen mit Forderungen und Streiks konfrontiert.
Christian „CKLKH“ Fischer erzählt seine phantasievolle Geschichte mittels zweier sich konsequent abwechselnder Erzählstränge (Hamburg und Neuguinea). Er betont dabei die grotesken Seiten des zoologischen Menschenhandels und beleuchtet das wechselseitige Unverständnis der heftig aufeinander prallenden Kulturen. Leider fehlen dem Band historische Illustrationen, die es wohl gibt, wenngleich viele Zoologische Gärten in den letzten Jahren einiges daran gesetzt haben, Bilddokumente in ihren Archiven zu verstecken.
Literarischer Höhepunkt ist das Gedankenbild, das Fischer ganz am Schluss seines Buches dem Leser in den Kopf pflanzt: Wie wäre es wohl, wenn Hagenbeck „typische“ Deutsche in einer eigenen Schau in afrikanischen Kralen und Wüstenoasen gezeigt hätte? Männer in Lederhose mit Dackel oder Schäferhund und Frauen im Dirndl würden Bier trinkend und Eisbein nagend unter einem erzgebirgisch geschmückten Tannenbaum hocken, Weihnachtslieder singen und ihren Nachwuchs in adretten Matrosenanzügen mit bunten Kinkerlitzchen verwöhnen.
Ihr Erscheinen und ihre harte Sprache würden bei den einheimischen Besuchern Entsetzen wie Heiterkeit hervorrufen, man würde ihnen Datteln in den Käfig werfen und Ziegenmilch anbieten Das Ganze ergäbe eine urdeutsche Kannibalenschau, deren Exotik viel Geld in die Taschen der Veranstalter spülen und das Deutschtum in aller Welt bekannt machen könnte
CKLKH Fischer: Große Kannibalenschau. Roman
Periplaneta, Berlin 2010, 13,00
ISBN 978-3-940767-60-8
Ein kleiner Einblick in die intensive Arbeit auf dem Hamburger Barcamp
Einen ausführlicheren Erlebnisbericht eines Newbies über das Hamburger Barcamp gibt es H I E R (bitte klicken)
Achtzig Stunden hält das Videospiel Final Fantasy einen Spieler in Atem, bis er durch sämtliche Level gejagt ist, die Handlung voll erschlossen und alle Abenteuer und Herausforderungen bestanden hat. Das erfolgreichste RPG (Role Playing Game = Rollenspiel) aller Zeiten wurde ursprünglich für Nintendo entwickelt, es läuft aber auch auf PlayStation und anderen Konsolen, wurde jüngst für apples iPhone und iPad freigegeben und erobert seit Oktober 2010 den chinesischen Markt. Inzwischen existieren 14 Fortsetzungen.
Geschaffen wurde das Spiel von der japanischen Videospielfirma Square, die 1987 vor der Pleite stand. Die Programmierer konzentrierten alle Hoffnungen und Mittel auf dieses Rollenspiel, das deshalb einen programmatischen Namen bekam: Final Fantasy. Eine der Besonderheiten des Spiels ist die dem Geschehen und den verschiedenen Episoden unterlegte Musik. Sie wurde von dem japanischen Komponisten Nobuo Uematsu eigens komponiert, der damit ein vollkommen neues Genre schuf: die Videospielmusik.
Uematsus Kompositionen schlugen in seiner Heimat ein wie eine Bombe und trugen mit zum Erfolg von Final Fantasy bei. Bald schrieb der 1959 geborene Japaner auch für andere bekannte Spiele wie Blue Dragon und Lost Odyssey die Soundtracks. Auf Festivals und in Konzertsälen wurden Uematsus Stücke von Symphonieorchestern dargeboten. Ein blutjunges Publikum fühlte sich angesprochen und stürmte die bislang der Klassik vorbehaltenen heiligen Hallen. Bleichgesichtige Nerds ließen ihre Computer verschnaufen und zogen enthusiastisch ins Konzert.
2003 wurde die Videospielmusik erstmals außerhalb Japans im Leipziger Gewandhaus aufgeführt, und ein junger Pianist macht die symphonische Konsolenmusik auch in klassischen Konzertsälen publik: Benyamin Nuss, 21, ein technisch brillanter Pianist aus Bergisch-Gladbach beweist, dass die Musik der Videospiele konzerttauglich ist. Nuss spielt Uematsus hochdramatische und ausgesprochen gestische Stücke auf dem Klavier. Auf einer bei Deutsche Grammophon erschienenen CD stellt er 15 transponierte Titel des japanischen Komponisten vor, die auch denjenigen, die keine Videospiele mögen oder darin moderne Teufeleien ausmachen, enormen Hörgenuss schenken.
Faszinierend daran ist auch, dass der Begriff der Klassik mit den konzertanten Stücken neu definiert und erweitert wird. Ähnlich wie bei der Filmmusik, die längst einen unbestrittenen Platz in der Welt der klassischen Musik eingenommen hat, sind es jetzt Klänge aus der Konsole, die ein Publikum ansprechen, das einen Großteil seiner Freizeit mit Computerspielen verbringt.
Nuss lässt Musik 2.0 erklingen, wenn er behände über die 88 Tasten seines Konzertflügels fliegt und mächtige Melodien wie sphärische Klänge erzeugt. Er intoniert wehmütige Weisen und wilden Galopp, romantische Naturbeschreibungen und kraftvolles Kampfgetümmel eine mehrdimensionale, bisweilen hymnische Musik, die dem Zuhörer den Atem raubt, sein Innerstes aufwühlt und ihn tief in ein Hörerlebnis besonderer Art hineinzieht.
Nachtrag
Am 24.11.2010 hatte ich Gelegenheit, Benyamin Nuss anlässlich seines Solokonzerts in der Berliner Philharmonie persönlich zu sprechen. Benyamin erzählte mir, dass er die ersten 13 Serien von Final Fantasy am PC komplett durchgespielt hat. Er hat dazu bis zu 120 Stunden pro Serie benötigt und freut sich schon auf den soeben veröffentlichten 14. Teil des legendären Computer-Rollenspiels.
Benyamin weiß also ganz genau, welche Musik er darbietet, und in welchem Zusammenhang diese in dem komplexen Spielverlauf erklingt. Sitzt er am Flügel und spielt die von Nobuo Uematsu komponierte Videomusik, dann sieht er die einzelnen Sequenzen des Spiels vor seinem geistigen Auge und erlebt die Dramatik des Spielgeschehens erneut.
Eine großartige Version von Jarrys Drama „König Ubu“ zeigt das Wandertheater „Ton & Kirschen“ Fotos: © W. R. Frieling
Einer der ältesten Texte, der dem Surrealismus ebenso wie Dada zugeordnet wird, stammt von dem französischen Autor Alfred Jarry und heißt König Ubu (im Original: Ubu Roi). Das Drama in fünf Akten wird sowohl gern im Französischunterricht gelesen als auch auf der Bühne von alternativen Theaterensembles aufgeführt und erfreut sich in jüngerer Zeit wachsender Beliebtheit.
Vater Ubu ist ein genusssüchtiger fetter Wanst, der nur an sich und seine heiß geliebte Leberwurst denkt. Der ständig wüst schimpfende Ubu steht aber auch als Metapher für das Monster, das im Menschen steckt. Er verkörpert die Fleisch gewordene Lust am Fressen, Rauben und Morden.
Mit Hilfe seiner Frau, die ihn aufstachelt und mittels einiger Getreuer, denen er Privilegien verspricht, ermordet Ubu den König von Polen, übernimmt die Staatsgewalt und setzt sich selbst die Krone auf. Als König Ubu presst er fortan seine Untertanen aus und lässt dabei alle Widersacher ebenso schnell beseitigen wie die reichen Adligen, deren Besitztümer er sich aneignet.
Die alten Eliten sind ihm zu kostspielig, für das Geld könne man besser Leberwurst konsumieren. Sie enden im Schnellverfahren in der Enthirnungsmaschine.
König Ubu will schließlich den russischen Zaren unterwerfen und zieht gegen Moskau. Dabei erweist er sich als feige und ängstlich. Während seine Leute sterben, macht er sich zynisch aus dem Staub und flieht mit seiner Frau und einem Teil der geraubten Schätze nach Frankreich, wo er als Doktor der Pataphysik unterschlüpft.
Autor Alfred Jarry schuf mit dem kritischen Text einen nahezu zeitlosen Kommentar zu gewissenlosen Machtmenschen und Diktatoren, der heute ebenso gültig ist wie vor mehr als 100 Jahren. Vor allem mit Ubus berühmten Schimpftiraden löste er bei der Uraufführung in Paris anno 1896 einen handfesten Theaterskandal aus. Erst viel später sollten Kritiker erkennen, dass dem exzentrisch-genialen Autor ein Wurf gelungen war, der den Beginn des modernen Dramas in Frankreich kennzeichnet.
Jarrys Text ist von teilweise ätzender Komik und mischt Techniken der burlesk-derben Commedia dellarte mit intellektueller Sprachkomik. Mit teilweise absurden Pointen assoziiert er Gedanken über die Verführbarkeit des Menschen durch das Ungeheuer, das ein Teil seiner selbst ist und dem er nur allzu gern gehorcht.
Der Autor überzeichnet das Böse und überspannt den Bogen dabei derart, dass Grauen in Gelächter umschlägt. So wird der Schauder zur Groteske, und indem dem Rezipienten keine andere Chance bleibt, als sich lachend zu distanzieren, mag er die Furcht vor dem Wiederaufleben einer Diktatur abbauen, deren zyklisches Auftauchen Jarry lange vor der Ära des Faschismus in der Natur des Individuums festmachte.
Von Alfred Jarry (1873 1907) stammt auch der Roman Heldentaten und Ansichten des Doktor Faustroll. Dieses Werk gilt als Gründungsdokument der von dem Autor erfundenen Pataphysik, der Wissenschaft von den imaginären Lösungen, die der Blogger Trithemius gern zitiert. In dem Werk wird die abenteuerliche Seereise des Doktors der Pataphysik Faustroll mit einem Gerichtsvollzieher und einem Pavian auf der Seine beschrieben.
Alfred Jarry: König Ubu
Verlag Reclam, Ditzingen 1995
ISBN 978-3150094464
80 Seiten 2,60
Deutschlands Nachwuchsstar Blaubeerina singt die Ballade vom Blumenkübel
Die Ballade vom Blumenkübel
Heimlich lauern böse Buben
Nachts vor dem Antoniusheim
Wo in klein karierten Stuben
Alte Leute schlafen fein.
Voller Arglist und mit Tücke
Greifen sie im Dunklen an:
Blumenkübel bricht in Stücke!
Und es fängt ein Drama an.
Denn der arme Blumenkübel
Haucht damit sein Leben aus,
Und die Quelle von dem Übel
Sitzt daheim und lacht ihn aus!
Blumenkübel ist jetzt tot
Neuenkirchen ist in Not!
Ach, wer brachte dieses Übel
Über einen Blumenkübel?
Tief erschüttert vom Geschehen
Zieht die Presse vor das Haus
Und beschreibt das Kampfgeschehen
Macht ne Kübel-Story draus.
Kurz darauf entfacht auf Twitter
Wo das Drama Wellen schlägt
Blumenkübel ein Gewitter,
Das die Nachricht weiter trägt.
Bald rührt sich das Weltgewissen
Und es filmt der WDR
Springt empor vom Schlummerkissen
Breitet aus die Kübelmär.
Blumenkübel ist jetzt tot
Neuenkirchen ist in Not!
Ach, wer brachte dieses Übel
Über einen Blumenkübel?
Bürgerwehr und Staatsgewalt
Jagen die Täter ohne Rast
Und so sitzen sie wohl bald
In Neuenkirchen fest im Knast
Wollen wir die Kübel nutzen
Uns am Blumenschmuck erfreun
Müssen wir sie aktiv schützen
Blumenkübeln dankbar sein!
Blumenkübeln dankbar sein!
dankbar sein
dankbar sein
Autorin Krystyna Schawaller aka Sarna hat aus dem Thema einen lustigen kleinen Sketch entwickelt, den es bei freiem Eintritt täglich im KLEINEN BLOGTHEATER zu sehen gibt.
Das Avant-Avantgarde-Magazin Das Dosierte Leben rief seinen „inneren Zirkel“ auf, die Zeitschrift auf dem entspannenden Weg zum Schmetterling zu begleiten und eine Kleinigkeit zum Stichwort Metamorphose beizusteuern.
Als getreuer Innerzirklist eilte ich darauf umgehend in den Palastgarten, um mir ein paar hochlyrische Zeilen abzuringen. Dort wurde ich von einem freundlichen Tagpfauenauge begrüßt, das sich am Sommerflieder delektierte und dabei ablichten ließ.
Die auf einen Zeitungsrand gekrakelte Ode wurde umgehend vom prinzlichen Postamt an den herausgebenden König der Dosen per Elektrobrief gesandt. Seine Prächtigkeit stopfte die epochalen Verse mit einem »Manifest der Arroganz«, einer Prise New Rave-Kultur und einem Quantum Dosenrevival in sein neuestes Heft, das PENG! auf meinem Tisch landete.
Dieses abwechslungsreiche, kreativ gestaltete und jedem Freund von Dada und Absurdem ans Herz gelegte Heft wiederum motivierte mich, meine gereimte Apokalypse eines Schmetterlings ausserdem noch auf meinen Tuben-Kanal zu stellen..
Das Dosierte Leben Avant-Avantgarde-Magazin
15. Jahrgang Ausgabe 83 6,12
c/o Jochen König Dr.-Weiss-Strasse 3/5 69412 Ebersbach
Ist dir, lieber Leser, dieser Text etwas wert, und wenn ja: wie viel? Werde ich dafür in der neuen Währung Aufmerksamkeit mit vielen Klicks bezahlt? Werde ich mit Kommentaren belohnt? Oder gibt es künftig sogar echtes Geld dafür genau so, wie es der Fall wäre, wenn ich diesen Artikel in der Holzpresse veröffentlichen würde?
Im Internet gibt es eine lebhafte Diskussion darüber, wie Online-Journalisten und Verlage Geld verdienen können. Dabei wird versucht, den anfangs gewählten Weg, alles gratis anzubieten, peu a peu wieder rückgängig zu machen.
So versucht seit einigen Monaten der Axel-Springer-Verlag, ausgewählte Artikeln nur denjenigen Lesern zugänglich zu machen, die auch bereit sind, dafür zu zahlen. Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und andere Tageszeitungen wollen bald folgen. Der Medienkonzern Bertelsmann steht vor der Eröffnung eines Online-Kiosks, bei dem Periodika und Bücher in digitaler Form erworben werden können.
Spiegel und Blogs liefen kostenfrei Content
Im Gegensatz dazu liefert Spiegel online seit 15 Jahren gratis hochwertigen Inhalt und will an dieser Politik weiterhin festhalten. Von den deutschen Bloggern hat es bislang noch keiner gewagt, eine Bezahlhürde zu errichten, es wird weiterhin zum Nulltarif geliefert.
Doch gibt es in Zeiten der Geiz-ist-geil-Mentalität überhaupt Leser, die in die Tasche greifen würden, um Autoren für ihre Arbeit zu belohnen? Lediglich neun Prozent aller deutschen Internetuser sind nach einer Studie des Wall Street Journal Europe bereit, für Online-Inhalte zu zahlen. Und dabei gilt wiederum als Faustformel: je spezieller und hochkarätiger der Inhalt, desto größer die Bereitschaft, den Autor dafür zu entlohnen.
Ein Versuch: Autoren-Netzwerk Suite101
Das Anfang 2008 für Deutschland gegründete, schnell wachsende Autoren-Netzwerk Suite101.de hält inzwischen mehr als 30.000 deutschsprachige Artikel vorrätig, die kostenlos gelesen werden können. Über 750 aktive Autoren erreichen mehr als zwei Millionen Leser (Unique Visitors) monatlich, und einige dieser Netzjournalisten hoffen, mit ihren Artikeln ihr tägliches Brot verdienen zu können.
Die Autoren sind nämlich mit einem Bruchteil an den Einnahmen beteiligt, die durch das Klicken der Leser auf die eingeflochtenen Werbeanzeigen erzielt werden. Tatsächlich gibt es bisher nur sehr wenige Autoren, die mehr als einhundert Euro pro Monat erzielen. Deren Artikel behandeln Mainstream-Themen bzw. aktuelle Themen, die oft gegoogelt werden (in der Vergangenheit beispielsweise Schweinegrippe).
Dabei ist die häufige Lektüre kein Garant für entsprechende Tantiemen, denn nur, wenn der Leser auch die Werbung anklickt, wird der Autor belohnt. So liegen meine eigenen Tantiemen bei Suite101.de aktuell bei 1,96 je 1.000 Seitenaufrufe. Der Historiker und Suite101-Autor Wolfgang Schwerdt, der zu den 100 meistgelesenen Autoren zählt, meint dazu: Trotz meiner für meinen Themenbereich vergleichsweise exorbitanten
Leserbeliebtheit lag ich in der Vergangenheit immer recht knapp über dem monatlichen Auszahlungsbetrag ( 10,-/Monat R.F.), in den letzten Monaten wieder darunter. Der eigentliche Gewinner bleibt also Suite101.
Was ist Flattr?
Lukrativer scheint da the new big thing namens Flattr. Die Plattform Flattr (auf deutsch: schmeicheln) versucht, einen Königsweg zu gehen. Jedem wird die Möglichkeit eingeräumt, einen Button in eigene Beiträge einzubinden, auf den zahlungswillige Leser freiwillig klicken können. Diese müssen allerdings zuvor ein Guthaben bei Flattr einzahlen und ein monatliches Budget festlegen, um flattern zu können. Ausgeschüttet wird dann das jeweilige Monatsbudget dividiert durch die Zahl der in dem entsprechenden Monat geklickten Beiträge.
Die Nutzung des flattr-Buttons ist vollkommen freiwillig und kann auch anonym erfolgen. Die Lektüre der mit einem derartigen Spendenknopf versehenen Beiträge ist selbstverständlich auch weiterhin für jeden kostenlos möglich. Nach aussen ändert sich also nichts, es kommt lediglich ein kleiner Button unter den jeweiligen Artikel.
Selbstversuch bei Flattr
In Zusammenarbeit mit Kolumnen.de und dem Dada-Blogger Merzmensch habe ich den Dienst im Juli 2010 getestet und dazu 10,00 in Flattr investiert. Davon wurden nach Abzug der PayPal- und Flattr-Gebühren 8,22 an die Autoren der von mir angeklickten Artikel ausgekehrt.
Auf meiner Einnahmen-Seite steht im Juli ein Gesamthonorar von 6,37. Das sind die Erlöse aus den Klicks meiner Leser. Allerdings habe ich den seltsamen Button, der unter meinen jüngsten Einträgen steht, bislang weder erklärt noch umworben. Die Einzigen, die also bislang „verdient“ haben, sind PayPal und Flattr (so gesehen eine gute Geschäftsidee), und sie verdienen umso mehr als weitere Leute mitmachen.
Nennenswerte Erlöse
Testläufe in größerem Umfang brachten wesentlich bessere Ergebnisse. So erlöste die TAZ im Monat Juli durch Flattr erstaunliche 1.420, das entspricht 46 pro Tag und einen Zuwachs um 40 Prozent gegenüber dem Vormonat. Der Law Blog generierte im Juli 265,78. Im Juni veröffentlichten die Top Ten unter den deutschen Blogs, die das Micropaymentsystem nutzen, ihre Ergebnisse, und die können sich durchaus sehen lassen. Und natürlich gibt es inzwischen auch schon die Flattr-Charts.
Hat Flattr Zukunft?
Ob Flattr tatsächlich Zukunft hat, wird sich rasch entscheiden. Gelingt es dem Dienst nicht, sich in kurzer Zeit in der Blogosphäre und darüber hinaus durchzusetzen, dann kommt ein stärkerer Anbieter, der vielleicht ein unkomplizierteres Bezahlmodell entwickelt und weniger Gebühren verlangt. Hier kommt derzeit vor allem Facebook in Frage, das mit dem automatischen Gefällt mir-Button unter jedem Beitrag bereits ein System nutzt, das sich im Handumdrehen in ein freiwilliges Bezahlungssystem weiterentwickeln lässt.
Das ist der Flattr-Button für diesen Blogeintrag. Um den Artikel zu flattern, musst du ein kostenloses Konto eröffnen.
Das Drama von Duisburg schlägt seit den grausigen Ereignissen vom 24. Juli 2010 im Netz enorme Wellen: Nachrichtensender, Blogs, Foren, YouTube und Twitter spüren ein deutlich erhöhtes Kommentaraufkommen zum Thema. Das Bedürfnis schafft sich ein Organ, und dessen Name hat acht Buchstaben: I – n – t – e – r – n – e – t. Tausende beschäftigen sich auf allen Kanälen mit dem grausigen Ende der Loveparade.
Jeder Einzelne hat seine Form des Umgangs mit solch schrecklichen Nachrichten wie jenen von mittlerweile 21 Toten und über 500 Verletzten in Duisburg. Doch kaum einer, der Betroffenheit zeigen möchte, zieht sich in sein inneres Schneckenhaus zurück. Es wird der Austausch, das Gespräch, das öffentliche Nachdenken und Gedenken gesucht. So ist jedenfalls mein Eindruck nach einer weiten Wanderung durchs Web.
Während ein erkennbar großer Teil der Gemeinde ihrer individuellen Trauer Ausdruck verleiht und Mitleidsgrüße sendet, beschäftigt sich eine deutliche Zahl von Bloggern und Netzjournalisten grundsätzlich mit den aktuellen Geschehnissen. Augenzeugen schildern ihre Erlebnisse, hunderte Fotos und Videos von der Schreckensstätte werden publiziert, Wissenschaftsblogger befassen sich intensiv aus ihren Blickwinkeln mit dem Thema. Sie alle machten die Loveparade bei aller Tragik zum künftigen Vorzeigemodell für aktuellen Online-Journalismus und die Überlegenheit digitaler Medien gegenüber der Holzpresse.
Die anfangs mit hohem Aufwand zusammengestellte Parade begann 1989 als farbenfroher und ausgelassener Karnevalsumzug in West-Berlin, dem von den Gehwegen aus zugeschaut werden konnte, wenn man nicht auf und um die geschmückten Fahrzeuge tanzen wollte. Aufgrund der nach dem Mauerfall auch aus dem Umland hereinbrechenden Menschenmengen, die an einer Massenorgie teilnehmen wollten, war bald vom Ursprungsgedanken nichts mehr sichtbar.
Kamen im ersten Jahr maximal 200 Leute, wurde die Loveparade inzwischen mit 1.600.000 Besuchern zur größten Tanzveranstaltung der Welt aufgeblasen.
Bei einer Veranstaltung dieser Größe sind viele satte Millionen zu verdienen, und die ausführenden Städte bekommen zusätzlich zu ihren Einnahmen kostenlose Megawerbung in allen Medien. Von der Stadtverwaltung über den Veranstalter bis hin zum einzelnen Bierverkäufer schauten alle in hungriger Vorfreude auf die zu erwartenden Menschenmassen. BILD, Oliver Pocher und auch der kleinste Drogendealer rieben sich erwartungsvoll die Hände und sperrten ihre Hosentaschen weit auf: Taschen, an denen jetzt Blut klebt!
Es gab im Vorfeld der Veranstaltung hunderte öffentliche Warnungen, vor allem in lokalen und überregionalen Leserbriefen, die sich im Nachhinein wie düstere Vorhersagen lesen. Außerdem rechneten die Verantwortlichen im Vorfeld mit weit mehr als eine Million Besuchern. Dennoch wählten sie nach der Devise »No risc, no fun« eine Örtlichkeit, die in Bezug auf die Erwartung knapp oberhalb der Größe eines Hühnerstalls lag. Waren tatsächlich, wie einige Blogger vermuten, Tote als »Kollateralschaden« fest mit eingeplant?
Ob explodierende Ölinseln oder Massenaufmärsche: Die großen Verdiener nehmen sich allesamt wenig. Sie missachten Warnungen und schalten Stopp-Signale aus, um ihre Idee durchzusetzen. Nackte Gier bestimmt ihr Handeln und damit auch das Geschehen. Nun hat es mal richtig gekracht, und das ist weit heftiger als ein kleiner Betriebsunfall Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die sich aus dem Drama von Duisburg ziehen lässt.
Die lange Odyssee des Lügenmuseums
Nach jahrelangem Rechtsstreit wurde das Lügenmuseum im brandenburgischen Gantikow zum 22. Juli 2010 fristlos gekündigt. Das Gutshaus, in dem das Museum 20 Jahre lang residierte, musste nach einer Fristverlängerung bis zum 31. Oktober 2010 besenrein geräumt werden. Das von dem Künstler Reinhard Zabka geführte Museum hatte sich mit seinen ungewöhnlichen Präsentationen und Aktionen in den letzten Jahren zu einem Publikumsmagneten in der Region entwickelt. Zwanzig Jahren lang konnten die Besucher erleben, wie Zabka an diesem Lügenmuseum arbeitete und seinem Leitspruch folgte: Ziele nach dem Mond, selbst wenn du ihn verpasst, wirst du zwischen den Sternen landen. Inzwischen hat das Lügenmuseum einen neuen Standort in der Kötzschenbrodaer Strasse 39, 01445 Radebeul, gefunden. Aber auch hier wollen die Kulturpolitiker lieber »repräsentative« Kunst statt einen Ort ungestümer Kreativität. Die Odyssee scheint damit noch nicht zu Ende …
Die Ostprignitz nordwestlich von Berlin birgt Namen aus der Schatzkarte von Theodor Fontane: Die Ortschaft Ribbeck findet sich dort, Sitz derer von Ribbeck und heute noch Standort des viel zitierten Birnbaums. Nachfolger des berühmten Landadeligen sind wieder in den verschlafenen Flecken gezogen und vertreiben Birnenschnaps. Schloss Rheinsberg, das in der DDR-Zeit verdiente Ausgebrannte des Volkes beherbergte, übte schon Anziehungskraft auf Kurt Tucholsky aus. Heute laden über 50 Festsäle und Kabinette, darunter der Muschelsaal, zu einer Reise in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Und in Kampehl lockt seit Jahrzehnten eine der unheimlichsten Mumien der Welt, der mumifizierte Ritter Kahlbutz mit seiner schrägen Geschichte. Damit ist das Potpourri an bekannten Sehenswürdigkeiten allerdings bereits weitgehend erschöpft. HIER geht es weiter →
Leibesübungen schreckten mich schon in jungen Jahren ab. Lieber bewege ich mich genussvoll im Schildkrötentempo und reime Sport auf Mord. Denn damit lässt sich bequem leben. Fatal und mitunter peinlich ist jedoch, wenn ich Namen, Zahlen und Ereignisse verquirle und vergesse. Das sind die grauen Schatten des Älterwerdens. Besonders eingefleischte Sportfans reagieren komisch, wenn ich unvorsichtig genug bin, an ihren Fachsimpeleien teilzunehmen und dabei Müll erzähle.
Um mich in bewegten Fußballzeiten nicht als unfähigen Trottel dastehen zu lassen, schult die Frau an meiner Seite mein Namensgedächtnis. Mit ausgefeilten Mitteln und Methoden der weiblichen Pädagogik versucht sie, mich anzutreiben und meine kleinen grauen Zellen zu trainieren. Dabei nutzt sie aktuelle Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft.
Leider bin ich an diesem Thema kaum interessiert. Entsprechend freudlos leiere ich Namen von Fußballern der deutschen Nationalmannschaft herunter und platze fast vor Stolz, dass ich wenigstens einige auf die Reihe bekomme: „Klose – Mertesacker – Schweinsteiger“.
Bastian Schweinsteiger ist dabei mein besonderer Liebling, weil ich mir seinen Namen leicht merken kann. Andere Spieler tragen deutsche Allerweltsnamen: „Friedrich – – – Müller“, oder war es Schneider, der Mittelfeldspieler der WM 2006? Egal. Hauptsache, Müller stimmt.
Uff! Fünf Namen habe ich bereits zusammen. Ich finde das viel und hoffe, mir diese Spieler ein paar Tage lang, wenigstens bis zum Ende der Meisterschaft, merken zu können. Doch statt des erwarteten Lobs und herzlicher Liebkosung hagelt es Tadel: „Das sind erst fünf Namen. Gib dir mehr Mühe!“
Podolski läuft mir noch über den geistigen Rasen, dann ist endgültig Schluss. Jetzt sind es immerhin schon sechs Namen. Doch da winkt ein Licht am Ende des Tunnels: die Eselsbrücke als geniale Gedankenstütze der Spracharchitektur hilft weiter. „Wie heißt der Kleine, der hinkt“, lockt die Trainerin, und spontan fällt mir ein weiterer Name ein: „Das ist Lahm! Der Mann heißt Lahm. Philipp Lahm!“
Auf diese Art und Weise lerne ich mühsam die Spielernamen der deutschen Elf auswendig. Damit bin ich gewappnet, falls mich jemand aktuell auf die Weltmeisterschaft anspricht. Das scheint mir allerdings schwer vorstellbar, denn das Wenige, was ich vom Fußball weiß, ist in dürren Worten zusammengefasst: Zehn Leute jagen einem Lederball hinterher und rempeln dabei gegnerische Spieler, bringen sie zu Fall, behindern, sperren und foulen sie. Ein elfter Kerl steht in einer Art großer Korbfalle, rennt bullig hin und her, und versucht auf diese Weise zu verhindern, dass der Ball in sein Netz rollt. Hält er das Leder nicht, brüllen alle Zuschauer „Tooooor!“, tröten, ratschen, hupen, schwenken Nationalflaggen und verschütten Bier.
Natürlich weiß ich, dass jeder einzelne Spieler sehr viel mehr kann als Salto schlagen und Gras fressen: neben dem Gedächtnistraining unterrichtet mich meine Traumzauberfee in Strategie und Taktik, und ich verstehe bereits ansatzweise, welchen Mustern eine Mannschaft folgt. Wenn es so weiter geht, ziehe ich ernsthaft in Erwägung, zum Public Viewing oder auf eine Fanmeile zu gehen. Ich kenne schließlich die Namen der Hauptdarsteller, und das ist mehr, als ich von mancher Theateraufführung, die ich besucht habe, sagen kann.
Ausgesprochen gemein finde ich in diesem Zusammenhang, dass wichtige Spieler ständig ausgewechselt werden. Als ich auf die Frage nach dem Torhüter wie aus der Pistole geschossen „Oliver Kahn“ sage, trifft mich ein wehmütiges Lächeln. „Den hast du vor vier Jahren auswendig gelernt, aber der spielt nicht mehr mit.“ Dumm gelaufen. „Dann ist es vielleicht Lehmann“? Abseits! Herr Lehmann hat sich zur Ruhe gesetzt.
Ich blinzele in den Fernseher und sehe ein gelbes Männlein im Tor, das sich unerschrocken den Bällen der gegnerischen Mannschaft entgegen wirft. Kahn ist das nicht, der sitzt in einem Glaskasten und schaut zu. Das ist ein für mich Neuer, und er heißt zu allem Überfluss genau so: Manuel Neuer!
Als die Stadionkamera ins Publikum schwenkt, kommt mir ein Gesicht bekannt vor. „Ballack, da sitzt Ballack,“ trompete ich stolz. Seinen Namen hatte ich mir bei der letzten WM eingetrichtert, um glänzen zu können; leider spielt der Mann diesmal nicht mit. Ein Spieler namens Boateng hat ihm übel mitgespielt und seinen Knöchel lädiert. Boateng? Dieser geheimnisvolle Name taucht gleich in zwei WM-Mannschaften auf! Wie soll ich die Boateng Brothers jemals auseinander halten, und wer von ihnen tat Ballack Böses?
Muss ich mir überhaupt Namen wie „Boateng“ und „Cacau“ merken? Lohnt sich das? Bis zur nächsten WM in vier Jahren werden die doch bestimmt ebenfalls ausgewechselt, und dann stehe ich mit meinem Halbwissen so dumm da wie zuvor. Nur Miroslav Klose betrachte ich in diesem Zusammenhang als alten Kumpan, der mir beständig die Treue hält.
Für mein schlechtes Gedächtnis wäre es jedenfalls optimal, die Spieler nur noch langfristig einzusetzen. Dann könnte ich mit Namen punkten und würde locker elf zusammen bekommen. Nützlich wäre auch, wenn die Spieler nicht beliebig austauschbar wären sondern eigene Persönlichkeiten entwickelten. Ein lustiger Kerl wie der aus dem damaligen Jugoslawien stammende Torwart Radi Radenkovic ist mir allein deshalb in Erinnerung geblieben, weil er mit seinem Schlager „Bin i Radi, bin i König“ meine Jugend begleitete.
Auch der seinerzeit umjubelte Mittelstürmer Uwe Seeler und Brasiliens Fußballgott Pelé, der immerhin dreimal Weltmeister war, haben sich in meine Festplatte eingebrannt, und ich erkenne Ex-Superstar Diego Maradona. Die „Hand Gottes“ steht zwar inzwischen gebrochen am Rand und würde am liebsten selbst aufs Spielfeld laufen, aber ich erinnere seinen Namen. So freue ich mich, dass mein durchlöchertes Gedächtnis wenigstens ein paar wichtige Fußballernamen ausspuckt, darunter den Spieler, der (namentlich) hinkt.
Im Nachtschlaf wälze ich mich schweißnass in weichen Kissen und fiebere von König Fußball und seinen Mannen. Da hinkt ein kleiner Mann im schwarzen Trikot mit seinem Ball direkt auf mich zu. Ist das Seeler, ist es Pelé oder gar Maradona? Himmel, wer ist denn dieser blonde Junge? Schon kommt er näher, aus Traumnebeln löst sich ein Name, und es sprudelt aus den tiefsten Katakomben meines Erinnerungsvermögens: „Das ist Lahm. Lahm! Phillip Lahm!!“